Mit Lean zur starken Schiene
Das Ziel der Deutschen Bahn (DB) für die nächsten Jahre ist es, den Bahnstrom zu 100 Prozent auf Ökostrom umzustellen und das schon bis 2038 statt wie geplant 2050. „Starke Schiene“ heißt die Dachstrategie, mit der sich die DB für die klimafreundliche Mobilität und die damit verbundenen Anforderungen der nächsten Jahre wappnet. Das Streckennetz wird erweitert, die Energieanlagen und Stationen werden modernisiert. Entscheidend für die Umsetzung dieser anspruchsvollen Infrastrukturprojekte innerhalb eines kurzen Zeitraumes ist eine effiziente Zusammenarbeit aller Beteiligten. Für die Branche ergibt sich daraus die Chance für einen grundsätzlichen Wandel. Nur mit einem Mindshift in Richtung Digitalisierung, Lean Management und neuer Formen der partnerschaftlichen Zusammenarbeit aller Akteure wird das Ziel „Starke Schiene“ erreicht werden.
Komplexes Infrastrukturprojekt in Braunschweig
Mitte 2020 fiel im Rahmen der Strategie „Starke Schiene“ der Startschuss für das Projekt „Stationsoffensive Regionalverband Großraum Braunschweig“ (kurz StOff), zu dem der Aus- und Neubau von sieben Verkehrsstationen in und um Braunschweig gehört. Damit realisieren der Regionalverband Großraum Braunschweig als Aufgabenträger und die DB Station&Service (DB S&S) als Betreiberin moderne, barrierefreie und siedlungsnahe Stationen, welche die Attraktivität des Schienenpersonennahverkehrs steigern. Es ist ein komplexes Projekt im Portfolio der Deutschen Bahn, da aufgrund zahlreicher Stakeholder, wie Städte, Gemeinden und Kommunen, Schnittstellen weit im Voraus abgestimmt sowie alle Betroffenen und Beteiligten von Anfang an mit eingebunden werden müssen. Hinzu kommt, dass nicht nur der Neubau, sondern gleichzeitig auch der Rückbau veralteter Haltepunkte im Projekt verankert und somit die Expertise vieler verschiedener Gewerke gefragt ist. Im Rahmen der Planung werden daher unterschiedliche Varianten betrachtet, welche die Belange der Interessensgruppen bestmöglich vereinen und einen Baubeginn 2026/2027 ermöglichen. Dieses Ziel wird in den ersten Leistungsphasen gemeinsam mit der DB Engineering & Consulting (DB E&C) als Generalplaner und Inros Lackner als Projektsteuerer sowie BIM- und Lean-Berater verfolgt. Nach dem Brandschutzprojekt „unterirdische Personenverkehrsanlagen“ (uPva) in Hamburg ist es das zweite Projekt, in dem sich alle Projektbeteiligten konsequent den Lean-Prinzipien verpflichten:
- Lean Management: Ein Managementansatz, der sich insbesondere durch die Grundprinzipien der Dezentralisierung und der Simultanisierung auszeichnet und dabei das Ziel verfolgt, eine stärkere Kundenorientierung bei konsequenter Kostensenkung herbeizuführen. (Quelle: Gabler Wirtschaftslexikon)
Management mit Lean-Prinzipien
Schritt 1 Kick-off mit Lego-Simulationen: Was ist zu tun für einen erfolgreichen Projektstart? Oft wird aufgrund von Erfolgs- und Zeitdruck dem Projektstart nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt – die Folge können explodierende Kosten- und Terminpläne sein. Die Kick-off-Phase ist das Fundament für den weiteren Projektverlauf. Für den Projektstart von StOff hat sich Inros Lackner als Projektsteuerer und Lean-Berater bewusst Zeit für Trainingstage rund um das Thema Lean und Lean Construction sowie für Abstimmungsrunden genommen, bei denen die Projektziele, der Weg dahin und die Wünsche an die Umsetzung kollaborativ erarbeitet wurden. Im Winter 2020 fanden die Auftaktveranstaltungen aufgrund der Pandemie gestaffelt in Kleingruppen und digital statt. Der gemeinschaftliche Kick-off definiert die Ziele und Aufgabenstellungen, die Lean-Prinzipien und die Projektvision des Auftraggebers für alle Beteiligten.
- Kick-off: Sind Auftaktveranstaltungen, die zur Klärung der Ziele der nächsten Periode und zur Motivation dienen. Sie finden meist zum Jahresbeginn, zu Projektbeginn oder zu Beginn einer Umbruchphase statt. (Quelle: leanmagazin.de)
Ein wichtiger Baustein für die Kick-off-Phase sind Praxissimulationen, wie z. B. Villego®-Workshops, die spielerisch mit Lego die Inhalte und Vorzüge des Last Planner® Systems (LPS) – als bekanntes Lean Management Tool – vermitteln. Für das StOff-Projekt hat das Inros-Lackner-Team diese in Eigenregie geplant und durchgeführt. Abseits vom Tagesgeschäft fanden die Workshops in den Hafven Event Spaces in Hannover statt. Hier wurden gemeinsam aktuelle Herausforderungen und Probleme der Projektarbeit untersucht, um im Anschluss näher auf prozessoptimierende Lean-Methoden einzugehen. Die signifikant besseren Ergebnisse wurden in allen Villego®-Simulationen mit dem LPS erzielt. Auf spielerische Weise lernt das Team die Bedeutung und Logik des LPS kennen. Zudem werden Teambildung und Kreativität für die Durchdringung komplexer Szenarien gefördert. Ein Umdenken wird angestoßen und gemeinsame Visionen entwickelt.
Schritt 2 – Digitale Gesamtprozessanalyse und Phasenplanung: Ein weiterer Meilenstein für den erfolgreichen Projektstart war Anfang 2021 der Beginn mit der Gesamtprozessanalyse und der Phasenplanung für die Leistungsphasen 1 und 2. Alle Beteiligten einigen sich in diesem Prozess auf ein Ziel im Projektabschnitt und planen von diesem Punkt rückwärts die einzelnen Arbeitspakete, bis sie wieder am Ausgangspunkt angelangt sind. Die Erarbeitung erfolgt gemeinsam vor einer sogenannten Planwand. Jedes Gewerk erhält Klebezettel (Post-it) in einer bestimmten Farbe, auf welchen die einzelnen Arbeitsschritte mit den notwendigen Vorleistungen und darauf aufbauenden Leistungen festgehalten werden. Ein Post-it stellt ein Arbeitspaket dar und wird auf Wochenbasis definiert. Die Absprache des Arbeitspakets im Team stärkt das Gemeinschaftsgefühl, während das Kleben durch die Projektbeteiligten selbst die Eigenverantwortung fördert. Durch die farbliche Zuordnung der Gewerke wird schnell deutlich, wer wann welche Arbeitspakete bearbeitet und welche Schnittstellen und Abhängigkeiten dabei zu berücksichtigen sind. Für die Maßnahmen der sieben geplanten Verkehrsstationen in Braunschweig wurde im Lean Management sehr viel Wert auf persönliche Treffen gelegt, vor allem bei solch wegweisenden Terminen wie der Gesamtprozessanalyse und der Phasenplanung. Aufgrund der geltenden Corona-Regeln war ein Präsenztermin nicht möglich und es wurde über eine zeitliche Verschiebung nachgedacht. Für das Projektteam war die Verzögerung jedoch keine Alternative. In Abstimmung mit der Projektleitung von DB S&S wurde eine digitale Lösung mit der Software Mural – einem digitalen Whiteboard – gewählt. Mural ermöglichte eine reibungslose kollaborative und simultane Arbeit während der Treffen. In drei Tagen wurden Projektabläufe für sieben Stationen aufgestellt und dabei das Wissen aller Beteiligten gebündelt.
Im Anschluss wurden die Ergebnisse in RefinemySite (Bosch-Software) und einem IL-Termindashboard vorgestellt und abgestimmt. Sie sind Basis für die wöchentlichen Lean-Planungsbesprechungen und visualisieren, ganz im Sinne der Lean-Prinzipien, den gesamten Projektfortschritt. Durch die erhöhte Planungstiefe und gemeinsame Abstimmung kann eine stabile und effiziente Terminschiene erarbeitet werden, auf welche sich alle Projektbeteiligten einigen. Abhängigkeiten, Parallelmaßnahmen und Schwachstellen im Projekt können so frühzeitig aufgedeckt und berücksichtigt werden.