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Interview mit BEN CHRISTIAN REINICKE

Als Chefarchitekt beschäftigen Sie sich intensiv mit den Themen Umwelt und Nachhaltigkeit. Wie wird das Thema in der Branche wahrgenommen?
Die Auseinandersetzung mit nachhaltigen Planungsansätzen hat sich erst in den letzten 15 Jahren intensiviert, davor wurde Nachhaltigkeit im kleinen Kreis und elitär betrachtet. Im Bauingenieurwesen und in der Architektur gibt es ein großes Potenzial zur Einsparung von Ressourcen, Energie, zur Reduzierung von Emissionen und Abfall. 2007 wurde die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) gegründet und gemeinsam mit dem Bundesbauministerium das Deutsche Gütesiegel Nachhaltiges Bauen für private Bauten und das Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) für Bundesbauten eingeführt. Erstmals gab es Kriterien, die klare Vorgaben für das nachhaltige Planen und Bauen für den Hochbau definierten. Zudem rückte die ganzheitliche Betrachtung von Nachhaltigkeit im Sinne des Lebenszyklus von Bauwerken in den Fokus. Trotz des steigenden Engagements fehlt eine Verschärfung der gesetzlichen Vorgaben für ein grundsätzliches Umdenken.

Wo steht die Branche, gelingt der Schritt vom Wissen zur Anwendung?
Vorreiter bei der Umsetzung nachhaltiger Planungen war und ist der Hochbau. Die hier gesammelten Erfahrungen mit gebräuchlichen Bewertungssysteme werden aber bereits auch in andere Bereiche des Bauingenieurwesens übertragen. Ein großer Schritt in Richtung Anwendung erfolgt durch die ganzheitliche Betrachtung von Bauwerken. Aus Art, Nutzung und Standort von Bauwerken ergeben sich zum Beispiel unterschiedliche Anforderungen an die verwendeten Baumaterialien und Produkte. Welche Ressourcen und Energiemengen werden zur Herstellung benötigt? Welche Emissionen werden bei Nutzung, Rückbau oder Transport der Bauprodukte freigesetzt? Deren Umwelteinwirkungen sind entscheidend für die Ergebnisse der Ökobilanz.

Daraus ergeben sich Fakten und Zahlen, die überprüfbare Kriterien darstellen und Anwendung in den Bewertungssystemen finden. Immer mehr Gebäude erfüllen diese Kriterien und werden zertifiziert. Neben dieser Nachhaltigkeitsbewertung durch messbare Gebäudezertifizierungssysteme zeigt sich auch die Tendenz, Nachweise auf andere Art zu führen, denn auch kleine Schritte zählen, solange Gesetze den Rahmen nicht vorgeben. Jüngst hat die KfW die Nachhaltigkeit fest in ihrer Vergabe von Krediten verankert und das nicht nur auf den Verbrauch von Primärenergie bezogen, sondern breiter gefasst mit Blick auf die verschiedenen Säulen der Nachhaltigkeit. Und es fällt auf, dass Umweltaspekte eine zunehmend größere Rolle bei öffentlichen und nicht öffentlichen Auftraggebern spielen. Das ist eine neue Entwicklung.

In welche Richtung wird sich das nachhaltige Bauen entwickeln, und wie reagiert Inros Lackner darauf?
Es wird eine Revision für das Gebäudeenergiegesetz geben sowie weitere gesetzliche Verschärfungen in Bezug auf die ganzheitliche Betrachtung von Bauwerken. Auf der Agenda stehen Themen wie der Umgang mit dem Bestand: Wie kann man die bereits gebaute graue Energie qualifizieren, nachnutzen oder wiedernutzen? Wie können wir Ressourcen verlustfrei in Kreisläufen einsetzen nach dem Cradle-to-Cradle-System von Michael Braungart? Wir bewegen uns innerhalb schneller Innovationszyklen in der Branche. Es ist wichtig, diesen Anschluss zu halten. Inros Lackner rennt der Entwicklung nicht hinterher, wir sind dabei. Aber dieses Momentum dürfen wir nicht verlieren. Nachhaltiges Handeln ist eine klare Entscheidung für die Zukunft. 

Für uns als Unternehmen bedeutet das, permanent den neuen Wissensstand zu erarbeiten und unsere Kompetenz weiter auszubauen. Wir verfolgen intern das Ziel, unsere Expertise und unsere Beratungskompetenz gegenüber den Auftraggebern weiter zu stärken. Als Architekten und Ingenieure stehen wir in der Verantwortung, das Bewusstsein für mehr Nachhaltigkeit zu schärfen und Alternativen aufzuzeigen. Dafür ist es wichtig, eigene Referenzen aufzubauen. Das 50Hertz Netzquartier in Berlin ist ein beispielhaftes Projekt, das als erstes Gebäude weltweit die Auszeichnung „DGNB Diamant“ erhalten hat. Inros Lackner war als Generalfachplaner für die Fassadenplanung, Statik, Haustechnik und das Energiedesign verantwortlich. Dieses Wissen tragen wir intern weiter und fördern den interdisziplinären Austausch.